Wahlwies durchlebte eine wechselhafte Geschichte und war wegen der bevorzugten Lage schon früh interessant für eine Besiedelung.

Nachfolgend stellen wir mit freundlicher Empfehlung des Autors Dr. Fredy Meyer, einen ortsgeschichtlichen Abriss vor.

Wahlwies
Kurzer ortsgeschichtlicher Abriss

von Dr. Fredy Meyer

Der 839 erstmals urkundlich erwähnte Ort Wahlwies wurde nach der Unterwerfung Alemanniens durch die Franken um die Mitte des 8. Jahrhunderts von fränkischen Kolonisten gegründet. Die archäologische Überlieferung reicht aber weit darüber hinaus in die Vor- und Frühgeschichte zurück. Im Jahre 915 siegten hier in einer historischen Schlacht die schwäbischen Grafen Erchanger und Berthold über die Anhänger König Konrads I. und das zum Fiskus Bodman gehörende Dorf wurde zum "Geburtsort" des schwäbischen Herzogtums. Im 13. und 14. Jahrhundert war Wahlwies Sitz eines in nellenburgischen Diensten stehenden Niederadelsgeschlechts, das sich auch nach dem Ort benannte. Größter Grundherr waren die Herren von Bodman. Sie übten außer dem niederen Gericht je zur Hälfte mit der Landgrafschaft Nellenburg auch die hohe Gerichtsbarkeit aus. Weitere Grundherren waren die Klöster Reichenau und St. Georgen im Schwarzwald sowie verschiedene Adelsfamilien.


Wahlwies war immer wieder Schauplatz kriegerischer Ereignisse: Wegen seiner Teilnahme am Bauernkrieg wurde es 1525 völlig eingeäschert, infolge des 30-jährigen Krieges soll „... nit ein lebendige Seel ...“ mehr zu finden gewesen sein und in der napoleonischen Kriegsära hatten die Menschen erneut unter zahllosen Truppendurchmärschen, Plünderungen und verheerenden Kämpfen zu leiden. Nach dem Ende des Alten Reiches (1806) kam Wahlwies zunächst an Württemberg, 1810 an Baden. Während der Revolution von 1848/49 zählte das Dorf zu den revolutionärsten Gemeinden im Großherzogtum Baden. Viele seiner Bürger sympathisierten mit den republikanischen und demokratischen Ideen Friedrich Heckers. Auf seinem Freiheitszug von Konstanz nach Kandern wurde den Freischärlern in Wahlwies ein triumphaler Empfang bereitet.

Das wirtschaftliche und soziale Leben der Menschen war bis ins 20. Jahrhundert hinein vom traditionellen Rhythmus der Landwirtschaft bestimmt. Der Obstanbau spielte schon im 19. Jahrhundert keine unerhebliche Rolle. Seine dominierende Bedeutung erlangte er aber erst nach dem 2. Weltkrieg. In den letzten 50 Jahren hat sich das Gesicht des Dorfes grundlegend gewandelt. Durch die Zuweisung von Heimatvertriebenen und Flüchtlingen, die Gründung des Pestalozzi-Kinderdorfes und der Waldorfschule hat sich die Einwohnerzahl stark vergrößert und die Sozialstruktur verändert. Aufgrund des allgemeinen ökonomischen Strukturwandels ist aus der bäuerlichen Landgemeinde mit 85 selbstständigen Landwirten (Stand von 1950) eine Wohngemeinde mit mehreren Obstbaubetrieben geworden. Die letzten Wahlwieser Milchkühe stehen auf dem Erlenhof im Pestalozzi Kinder- und Jugenddorf.


Flurneuordnung, Dorfentwicklung und die Erschließung des Industriegebietes Hardt haben das Ortsbild und die Gemarkung erheblich umgestaltet. Infolge der Gemeindereform ist die einst selbstständige Gemeinde Wahlwies seit dem 1.1.1975 Ortsteil von Stockach. Mit 2137 Einwohnern (Stand 31.10.2011) ist Wahlwies der größte Teilort Stockachs.

Aus der Wahlwieser Ur- und Frühgeschichte

„Das Hegaudorf Wahlwies am Westufer des Überlinger Sees liegt in einer Landschaft, die sich durch eine reiche ur- und frühgeschichtliche Überlieferung auszeichnet. Sei es die Entdeckung von Steinzeithöhlen oder Pfahlbauten, die Erforschung von Urnenfeldern und Hügelgräbern oder die Ausgrabung römischer Mauerreste und alemannischer Friedhöfe – dies alles weist in vielfältiger Weise auf ein Jahrtausende zurückreichendes kulturelles Erbe hin.

Jungsteinzeit

In das Ende der Jungsteinzeit, genauer: in das 3. Jahrtausend vor Christus, gehören die ältesten datierbaren neolithischen Funde von Wahlwies. Sie stammen aus dem Bogental, jenem Waldgürtel, der sich nördlich von Wahlwies, in weitem Bogen in Richtung Espasingen erstreckt und (aus topographischen Gründen) eigentlich "Bogenberg" heißen müsste. Hier hatte schon im letzten Jahrhundert eine Gruppe von zehn Grabhügeln die Aufmerksamkeit der Menschen erregt. Auf Anregung des Großherzogs von Baden führte das Badische Landesmuseum in den Jahren 1901/1902 mit großem Erfolg Grabungen durch. Einer der zehn Grabhügel (Hügel G), so stellte man fest, stammte aus der Jungsteinzeit. Er hatte einen Durchmesser von 18 m und eine Höhe von 2,20 m. Als man ihn öffnete, entdeckte man in der geringen Tiefe von 40 bis 60 cm die Überreste eines menschlichen Skeletts, nämlich einen Schädel und einige Arm- und Beinknochen. Der hier Bestattete soll wegen seines runden Schädels dem Bevölkerungstyp "homo alpinus" angehören, der von den Alpen bis zur Bretagne zu beobachten ist, dem auch die auf dem Adlerberg bei Worms gefundenen Schädel zugeordnet werden. Die Art, in der der Tote bestattet wurde - etwa in Hockerform - konnte nicht mehr festgestellt werden, doch wurden in dem Grab als Beigaben noch Bruchstücke eines glatten, rötlichen Glockenbechers aus Ton und eine beschädigte Armschutzplatte aus Kalkstein entdeckt, die gegen das Anschlagen der Bogensehne beim Pfeilschuss verwendet wurde.“

Aus: Fredy Meyer, Wahwies. Ein Dorf und seine Geschichte. (Hegau-Bibliothek Bd. 93), Engen 1990, S. 1-4 (Mit freundl. Genehmigung des Verfassers.)

„1995 wurde bei Waldarbeiten am Nordwesthang des Roßberges, im Gewann Tiefental, circa 20 Meter unterhalb des Gratweges zur Bauernwacht, ein neolithisches Werkzeug gefunden. Es handelt sich um eine 11 cm lange, an der Schneide 4,7 cm breite, nach hinten konisch verlaufende Beilklinge von 2 cm Dicke aus Jadeit, einem grau- bis schwarzgrün schimmernden Felsgestein von außergewöhnlicher Härte, das während der Jungsteinzeit vornehmlich in Italien und Westeuropa zur Herstellung von spitztnackigen Beilen verwendet wurde. Die Entdeckung der Steinklinge erlaubt die Schlussfolgerung, dass in der Jungsteinzeit nicht nur die durch viele Kulturschichten mit reichem archäologischem Fundmaterial belegte Uferzone am Westende des Überlingers Sees, sondern auch das Hinterland mit dem exponierten Bergsporn der Bauernwacht bei Wahlwies in den auf das Bodenseeufer konzentrierten Siedlungsraum der Neolithiker in irgendeiner Weise mit einbezogen war.“

Aus: Fredy Meyer, Unbekannte Wehranlagen im östlichen Hegau. In: Römer, Ritter, Regenpfeifer, Streifzüge durch die Kulturlandschaft westlicher Bodensee, hg. v. Fredy Meyer, Konstanz, 1995, S. 75f. (Mit freundl. Genehmigung des Verfassers.)

Späte Bronzezeit

„Die späte Bronzezeit ist eine Epoche großer Unruhen und Völkerbewegungen, die u.a. zum Untergang der vorderasiatischen Kulturen führen. In dieser Zeit war es z.T. üblich, die Toten zu verbrennen und die Brandreste in Urnen beizusetzen. Man bezeichnet dies von 1200 bis 750 v. Chr. vorherrschende Sitte daher auch als Urnenfelderkultur. Aus dieser Kulturepoche sind auch aus Wahlwies zahlreiche Funde belegt. So wurden im Gewann "Hafenäcker" 1926 anlässlich eines Scheunenbaues von Adolf und Roman Renner an der Südecke des dortigen Gebäudes in einer Tiefe von 0,40 m viele Tonscherben gefunden. Unter ihnen befanden sich zwei kleinere ganz ineinander gestellte Urnen. Die Metallbeigaben gingen verloren. Ein weiteres Urnengrab wurde im Gewann Hafenäcker beim Wasserleitungsbau 1949 entdeckt. Es handelt sich um eine große Zylinderhalsurne, deren oberer Teil beim Ackerbau leider schon durch den Pflug zerstört wurde. Im Innern der Urne befanden sich neben dem Leichenbrand auch Reste von zwei bis drei weiteren Gefäßen. Eines davon konnte ergänzt werden. Beim Bergen des Fundes berichteten die alten Leute, dass im Gewann "Hafenäcker" schon seit Jahren beim Pflügen immer wieder Scherben zum Vorschein gekommen seien. Damit bestätigt sich aufs Neue der schon beim Flurnamen und dem Fund von 1929 geweckte Verdacht, dass es sich beim Gewann "Hafenäcker" um einen ehemaligen Urnenfriedhof handeln dürfte. Schließlich sei noch auf einen weiteren wichtigen Fund hingewiesen, den man hier im Jahre 1953 beim Ausheben einer Baugrube gemacht hat. Es ist dem damaligen Oberlehrer Sohm von der Hauptschule Wahlwies zu verdanken, dass ein Teil der Fundstelle beobachtet und eingemessen werden konnte. Bei den Arbeiten stellte sich heraus, dass es sich um ein "rollsteinumpacktes Brandgrab mit sieben Gefäßen und Leichenbrand handelt". Während der Fund von 1949 noch in die ausgehende Urnenfelderkultur datiert werden muss, also in die Zeit zwischen 850 und 750 v.Chr., hat das Urnengrab von 1953 rein hallstattzeitlichen Charakter.“

Aus: Fredy Meyer, Wahlwies. Ein Dorf und seine Geschichte, Engen 1990, S. 5f.

Römische Siedlungsreste in Wahlwies

„Nordöstlich des alten Dorfkerns von Wahlwies erstreckt sich ein größeres Wohngebiet, das sich bis an den heutigen Ortsrand erstreckt. Vor wenigen Jahren wurde ein bis dahin nicht überbauter Geländeabschnitt innerhalb dieses Neubaugebietes zusätzlich erschlossen. Das Gewann trägt den Namen "Hafenäcker". Zwischen 1926 und 1953 wurden im Umfeld mehrere Gräber der Urnenfelder- und Hallstattzeit entdeckt, die eine Erklärung für die auffällige Flurbezeichnung liefern.

Das Gelände liegt unmittelbar westlich des Friedhofs hochwassersicher in einer großen Flussschleife der Stockacher Aach, die hier einen flachen Grundmoränenrücken der Würmeiszeit umfließt. Der ehrenamtliche Beauftragte der archäologischen Denkmalpflege Dr. Fredy Meyer und seine Frau Lucia entdeckten 2006 in einer frisch ausgehobenen Baugrube angeschnittene Mauerfundamente. Bei der Notuntersuchung durch die Kreisarchäologie des Landratsamtes Konstanz konnte ein römisches Gebäude nachgewiesen werden, dessen nordöstliche Ecke beim Aushub der Baugrube zerstört wurde.

2009 wurde schließlich das westlich angrenzende Grundstück bebaut, so dass nun die Gelegenheit bestand, das nordwestliche Viertel des Gebäudes archäologisch zu untersuchen. In Abstimmung mit der Bauherrenschaft wurde der Humus bereits vor Baubeginn abgezogen und die römischen Befunde in einer zweiwöchigen Ausgrabung freigelegt und dokumentiert. Kleine Sondagen im Gartenbereich halfen zudem die Gesamtdimensionen des Bauwerks zu rekonstruieren. Es handelt sich bei den freigelegten Zweischalenmauern um das etwa 1m breite und 1 m tief gegründete Fundament eines ca. 16,5 m langen und 13,8 m breiten Gebäudes. Die Grundfläche beträgt rund 228 qm. Das aufgehende Mauerwerk war noch bis zu vier Lagen hoch erhalten, die Gebäudeecke mit Tuffstein verblendet. Im nordwestlichen Gebäudeteil konnte zudem eine 50 cm breite, an die westliche Außenmauer ansetzende Innenmauer freigelegt werden, die das Gebäude unterteilt. Sie knickt nach 3,8 m nach Süden ab. Nördlich der Innenmauer fand sich eine 2,5 x 2,5 m große Konstruktion aus vier in Reihe stehenden Hohlziegeln sowie Wacken und Sandsteinplatten, die einen schmalen, nach Westen abknickenden Kanal formten. Im Umfeld des Kanals zeigte der lehmige Untergrund Spuren von Hitzeeinwirkung, die auf eine Funktion als Heizkanal oder einer ähnlichen technischen Einrichtung hinweisen. Die ohne Sorgfalt errichtete Konstruktion lässt die sonst vorherrschende Akribie der Erbauer vermissen. Vielleicht wurde sie nachträglich in das Gebäude gesetzt.

Neben zahlreichen Fragmenten von Leistenziegeln konnten nur wenige Keramikscherben geborgen werden. Der Fund einer allerdings stark abgegriffenen Bronzemünze mit dem vermutlichen Porträt des römischen Kaisers Marc Aurel (161-180 n. Chr.) erlaubt die Annahme, dass das Haus im Laufe des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts errichtet wurde. Es gehörte vermutlich zu einem römischen Gutshof, der siedlungsgünstig in der Flussschlinge der Stockacher Aach lag. Bereits 1938/39 wurden etwa 150 m östlich der Fundstelle "Hafenäcker" beim Errichten eines Reichsarbeitsdienstlagers Mauerzüge und römische Funde beobachtet, die auf weitere römische Siedlungsbauten hinweisen.“

Jürgen Hald (Kreisarchäologe für den Landkreis Konstanz), Römische Siedlungsreste in der Flur „Hafenäcker“ bei Wahlwies. In. Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg 2009, Stuttgart 2010, S. 187-189 (Mit freundl. Genehmigung des Verfassers).